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Digitalisierungsverbot: Der Schriftformzwang im Nachweisgesetz
Kommentar von Nora Schmidt-Kesseler zu "Digitalisierungsverbot: Der Schriftformzwang im Nachweisgesetz" in der NZA:
Auf die Frage, welche Auswirkungen der Schriftformzwang im neuen Nachweisgesetz hat, antworte ich stets: Er kostet uns Berliner/innen den Grunewald. Das ist die traurige Wahrheit. Der Papierverbrauch in Deutschland ist mit jährlich fast 230 Kilogramm pro Kopf im internationalen Vergleich sehr hoch. Mit dem Nachweisgesetz wird er weiter steigen. Doch das Gesetz ist nicht nur für die Nachhaltigkeit ein Problem.
Die neuen Nachweispflichten bringen für HR-Abteilungen erheblichen zusätzlichen Aufwand, den der Gesetzgeber massiv unterschätzt hat. Die Gesetzesbegründung nimmt an, dass nur 10 Prozent der Unternehmen ihre Vertragsvorlagen anpassen müssten. Tatsächlich haben fast alle Firmen enormen Anpassungsbedarf, der geschätzte Zeitaufwand von 21 Minuten geht an der Realität völlig vorbei. Hinzu kommt der Anspruch der Arbeitnehmer/innen, die vor dem 1.8.2022 beschäftigt waren, auf Anforderung spätestens nach sieben Tagen bestimmte nun notwendige Angaben ausgehändigt zu bekommen. Dass die Arbeitgeber für die Angaben anderer Arbeitsbedingungen mehr Zeit haben, bedeutet weiteren Mehraufwand. Sie müssen im Auge behalten, wann welche Arbeitsbedingung in Papierform ausgehändigt werden muss.
„In Papierform“ ‒ Deutschland ist europaweit das einzige Land, das an der Papierform für Arbeitsverträge festhält und sich damit für die aufwändige Bürokratie entscheidet, ohne das auch nur zu begründen. Und das, obwohl die den Änderungen zugrundeliegende Richtlinie über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen die digitale Form ausdrücklich zulässt. Alle anderen Mitgliedstaaten haben sie deshalb auch gewählt. Unsere Bundesregierung aber beharrt lieber weiter auf der Papierform.
Zurück zum Papier also statt hin zur Digitalisierung. Viele HR-Abteilungen haben bereits erfolgreich arbeitsrechtliche Prozesse in den Unternehmen digitalisiert. Einfacher und effizienter war das Ziel. Jetzt müssen die Personalabteilungen in deutschen Unternehmen ihre Kapazitäten einsetzen, um die neuen Vorgaben umzusetzen, und das auf eine unnötige, ökonomisch wie ökologisch nicht durchdachte Art und Weise. Nicht nur für Unternehmen ist das ein großer Rückschritt. Der Schriftformzwang im neuen Nachweisgesetz sendet ein Signal an die gesamte Wirtschaft, an Arbeitnehmer/innen wie Arbeitgeber. Dieses Signal ist geeignet, das Vertrauen der Wirtschaft und der Gesellschaft nachhaltig zu erschüttern. Das Vertrauen in die Absicht der Bundesregierung, die Digitalisierung zu beschleunigen und in den ernsthaften Willen, die Bürokratie zu reduzieren. Mit dem „umfassenden digitalen Aufbruch“, den die Ampelkoalition ausgerufen hat, hat das ebenso wenig zu tun wie mit ihrem Versprechen im Koalitionsvertrag „Wir schaffen ein modernes Arbeitsrecht". Es ist geradezu das Gegenteil davon.
Dieses rückwärtsgerichtete Gesetz darf so nicht bleiben. Es muss schnellstmöglich überarbeitet, digitale Nachweise müssen möglich werden, damit deutsche Unternehmen in einem internationalen Umfeld wettbewerbsfähig bleiben – und für den Grunewald.